Freitag, 12. April 2019

et factum est


Wo der deutschsprachige Leser des Evangeliums sich gewohnt hat an Formulierungen wie: Und es geschah…, da stehen im Lateinischen die Worte: Et factum est oder auch: et facta sunt (man lese nur mal etwa das erste Kapitel des Lukas-Evangeliums).

Als Lehnwörter sind diese Begriffe bekannt. Das Faktum benennt eine Tatsache, eine unumstößliche Wirklichkeit. Fakten sind gegeben, Fakten sind da.

Exakt dies will das Neue Testament betonen, wenn es von Jesus berichtet. Die Evangelisten, die Apostel, die Verkünder sind gestandene Augenzeugen, sie berichten nicht über Erfundenes oder über abstruse, verquere Hirngespinste, sondern über felsenfeste Fakten, die überprüfbar sind, die wortwörtlich begreifbar sind, über Tatsachen, an denen nicht zu rütteln ist, da sie nun mal Tatsachen sind. Punkt.

Vor allem der Evangelist Johannes wird nicht müde, seinen Zuhörern dieses Grundlegende immer wieder vor Augen zu führen. Z.B. im ersten seiner Briefe:

»Was von Anfang an war, was wir gehört haben, was wir mit unseren Augen gesehen, was wir geschaut und was unsere Hände angefaßt haben, das verkünden wir: das Wort des Lebens. Denn das Leben wurde offenbart; wir haben gesehen und bezeugen und verkünden euch das ewige Leben, das beim Vater war und  uns offenbart wurde. Was wir gesehen und gehört haben, das verkünden wir auch euch, damit auch ihr Gemeinschaft mit uns habt.» (1ff)

Und derselbe Evangelist prägt den Fundamentalsatz der Christologie, die Tatsache aller Tatsachen: Et verbum caro factum est – Und das Wort ist Fleisch geworden.

Es hängt nicht zuletzt mit der Insistenz des Christentums auf den Fakten zusammen, daß das Christentum durch die Jahrhunderte hin zur wohlfeilen Zielscheibe wurde. Wer Fakten benennt, zieht nämlich die klare Trennungslinie zwischen Tatsachen und Nicht-Tatsachen, zwischen Fakten und Fiktionen. Dies ist aber, gerade in der gegenwärtigen Zeit, Stein des Anstoßes schlechthin. Denn die Moderne oder Postmoderne oder Postpostmoderne rühmt sich, endlich jenseits der Fakten angekommen zu sein, im schieren Konstruktivismus – anything goes.

Zwei markante Beispiele unter multiplen anderen: Die Abtreibung und der Genderaberwitz.

Mit der aggressiven Durchsetzung der Abtreibung wurde in den sechziger Jahren die Wirklichkeit zum Nonsens herabgestuft. Gegen jede wissenschaftliche Evidenz und jeden bis dato unangefochtenen Konsens, daß nämlich der Zeitpunkt der Konzeption der Beginn der Schwangerschaft und also der Beginn des menschlichen Lebens ist, wurde nun plötzlich das ungeborene Kind zum bloßen Zellhaufen degradiert. Nicht das Faktum des Lebens in seinem frühesten Stadium zählte, sondern die Ideologie der Machbarkeit und deren faktenresistente Sicht der Dinge.

Fünfzig Jahre später treibt die Verweigerung der Fakten ihre dekadenten späten Blüten. Der Biologie an sich, den nackten organischen Tatsachen, wird nun der Garaus gemacht. Mannsein und Frausein, mit anderen Worten die Grunddaten menschlicher Existenz, sind neuerdings lediglich Konstrukte und folglich Modelliermasse nach Belieben. Chromosomen - beliebig. Neurologische Befunde - irrelevant. Zellulare Eindeutigkeiten - belanglos. Ein Irrsinn, zweifelsohne, aber dieser Irrsinn hat Methode und bringt es mittlerweile landauf landab zu hochdotierten und subventionierten Lehrstühlen.

Da ist es reine, kristallklare Luft, in die Welt der Evangelien und der neutestamentlichen Schriften insgesamt einzutreten. Es ist der Sauerstoff der taghellen Tatsachen. Und dieses Elixier ist dringender denn je benötigt – um widerständig zu sein, wenn die Welt ringsum den Nebel und das Närrische als die alleinseligmachende Droge verkauft.

Wie herrlich, wie einfach, wie wirklich:

»Denn wir sind nicht klug ausgedachten Geschichten gefolgt, als wir euch die machtvolle Ankunft unseres Herrn Jesus Christus kundtaten, sondern wir waren Augenzeugen Seiner Macht und Größe.« (2. Petrusbrief 1, 16)

Grafik: Photo by Robert Nyman on Unsplash