Dienstag, 24. Juli 2018

Gloria Dei I

»In ihm war nicht die zornige Liebe, die züchtigen will, aufrütteln, anstacheln und erheben, der Urwille des großen Künstlers, mit Gott zu rechten, seine Welt zu verwerfen und sie neu, nach seinem eigenen Dünken zu erschaffen.«
Stefan Zweig mag Gutes geschrieben haben, aber hier (in seinem Essay zu Charles Dickens) irrt er sich gewaltig. Denn es verhält sich genau umgekehrt.

Der große Künstler will Gottes Werk nicht verwerfen, sondern bejahen. Die große Kunst ist Einverständnis und also Anbetung. Sie protestiert nicht gegen die Schöpfung, sondern kommt dahin (meist nach Schmerzen, Prüfungen und notwendigen Enttäuschungen und Erschütterungen), ihr amen zu sprechen: So sei es!

Man höre dazu etwa die Matthäuspassion – die Matthäuspassion eines Zeitgenossen wohlgemerkt, eines Komponisten aus dem 21. Jahrhundert. Gemeint ist Metropolit Hilarion Alfeyev, seines Zeichens hochrangiger orthodoxer Kirchenmann, der nach seinem Eintritt ins Mönchsleben zwanzig Jahre lang das Komponieren ruhen läßt, bis dann, eines Sommers, in einem Gewitter der Inspiration, drei Werke entstehen, darunter besagte Matthäuspassion.

Hier spricht einer der großen Künstler unserer Tage. Wer das Werk hört, ist danach nicht mehr derselbe. Das ist bereits ein Signum großer Kunst: Sie verändert den Aufnehmenden. Aber nicht beliebig, sondern richtungsweisend, nach oben hin.

Dies gelingt großer Kunst nicht zuletzt deswegen, weil sie das Vergangene, das kostbar Überlieferte, nicht hochmütig über Bord wirft, sondern dankbar sich aneignet, um sodann mit dem Schatz der Tradition weiterzubauen an der Verherrlichung des Schöpfers aller Dinge, in dessen demütigen Dienst der große Künstler sich stellt.

Dabei wird nichts unterschlagen. Weder der Schmerz, noch die Tränen, noch der Verrat, noch die Abgründigkeit des Menschen. Doch die große Kunst versteht es, trotz aller Mißbräuche des Menschen und des eigenen abgründigen Existierens über dem Nichts nicht zu verzweifeln an der conditio humana, sondern tiefer zu schauen, höher zu schauen, und noch im Schrecklichen die geheime Anwesenheit des Gekreuzigten wahrzunehmen.

Große Kunst, dies wird jeder wache Hörer, Leser und Betrachter kennen, tröstet. Es ist der Trost der Wüstenwanderer, der Exilierten. Der Trost derjenigen, die um den status viatoris des Menschen wissen, aber zugleich um das Ziel der rechten Wanderschaft. Und die Kunst reicht den Mitwanderern den Becher des klaren Trunks der Wahrheit, in leuchtenden Farben, in unversiegbaren Tönen, in Worten, die zum Herzen sprechen – cor ad cor loquitur.

Und vielleicht ist es heute zumal dem orthodoxen Künstler gegeben, diesen Trost wirkmächtig aufleben zu lassen. Denn zur orthodoxen Lebendigkeit gehört das feste Verankertsein in der triumphierenden Verklärung und Auferstehung Christi, ebenso wie das unverbrüchliche Gehaltensein in der Göttlichen Liturgie. Während der Westen vorzugsweise im Kreuz das Wasserzeichen der Schöpfung wahrnimmt, schaut der Osten sieggewiß die Verherrlichung des gekreuzigten Gesalbten und stimmt ein in den Lobpreis der himmlischen Ecclesia.

Bischof Hilarion ist zu danken. Seine Matthäuspassion ist reiner Lobpreis, Verherrlichung Gottes, daher gehört sie nicht länger ihm. Wie jede große Kunst enteignet das Werk den Schaffenden, der wortwörtlich hinter dem Werk verschwindet. Nicht uns, o Herr, nicht uns, sondern Deinem Namen gib die Ehre (Psalm 115,1).

Wir gratulieren, aus ganzem Herzen, Metropolit Hilarion zu seinem heutigen Geburtstag!