Ein cineastisches Meisterwerk ist anzuzeigen: Die Kinder des Fechters.
In einer geschwätzigen, lauten, alles zerredenden Welt kommt ein Film daher, der das Dezente, Diskrete und Sparsame zu seinen Gegenmitteln erwählt. Und es ist wie immer: Das sanfte Gesetz, von dem der österreichische Dichter Adalbert Stifter schrieb, überzeugt.
Ein neuer Lehrer kommt in eine Schule in Estland, nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Dorf, wo er hinkommt, ist ein trostloses Nest. Die sowjetische Besatzungsmacht hat das Sagen, und das heißt, das Regime regiert mit brutaler Unterdrückung. Wer nicht systemkonform spurt, wird abtransportiert in die Lager.
In diesem Umfeld der Angst und des Mißtrauens will der neue Sportlehrer Endel Nelis, ein versierter Fechtmeister, der auf der Flucht vor Stalins Geheimpolizei in besagtem Nest untertaucht, seinen Eleven das Fechten beibringen.
Die Handlung soll hier nicht vorweggenommen werden. Nur soviel:
In wunderbaren, gänzlich unaufdringlichen Bildern, in Zwischentönen und ruhigen Einstellungen, die mehr mitteilen im Schweigen als in vielen Worten, zeigt dieser Film, was einen Vater zu einem Vater macht: Die Bereitschaft zum Leiden und zur Verantwortung.
In der finalen Zuspitzung des Dramas wählt der Lehrer, weil ihm die Kinder ans Herz gewachsen sind, nicht die egoistische Flucht (wiewohl ihm ein Freund schon die Tickets in die sichere Zone besorgt hat), sondern das Opfer der Verantwortung.
In einer Schlüsselszene des Films, ebenso unaufdringlich wie soundsoviele andere stillen Sequenzen, trifft der Fechtlehrer in Leningrad auf den Direktor der Schule, an der er angestellt ist. Dieser Direktor ist der Funktionär, der stets die Treppe hochfällt, gleich unter welchem Regime, denn er versteht sich anzupassen und mitzulaufen. Der Direktor als Wendehals, Karriere inklusive.
Die Szene spielt, auch dies paßt, auf einer Treppe. Der Sportlehrer will nach unten, ins Freie, als er plötzlich feststellen muß, daß auf dem Stiegenabsatz der Direktor zigaretterauchend den Weg versperrt. Offensichtlich gibt es keinen Ausweg. Der Lehrer versteht, daß der Direktor mit der staatlichen Geheimpolizei unter einer Decke steckt, daß der Direktor ihn denunziert hat.
Was tun?
Als der Direktor erkennt, wer sich da die Treppe hinabgehend ihm nähert, drückt er die Zigarette aus, rechtfertigt sein Verhalten und gibt, die Treppe hochgehend, Endel den zynischen Rat, sich aus dem Staub zu machen, die Sowjetunion sei schließlich ein großes Land … . Endels Frage an den Direktor besteht aus drei Wörtern: »Und die Kinder?«
Es ist die Frage nach den Opfern.
Denn die Macht steht stets auf der Seite der Täter. Die Opfer werden entweder zu Schuldigen deklariert oder ihr Opferstatus wird brutal ausgeblendet, so daß derjenige, der gleichwohl die Opfer in die Mitte stellt, als der Idiot gebrandmarkt wird, der die Welt verkennt.
Der Fechter Endel Nelis stellt sich auf die Seite der Opfer. Als ihn die Geheimpolizei abführt, geht er zugleich auf das Kreuz zu und dem Licht entgegen, denn die Kamera zeigt diese Abführung derart, daß im Hintergrund ein schwarzes Kreuz ins Bild ragt – freilich ein Fensterkreuz und also ein Kreuz zum Licht hin.
Und darum endet die Geschichte auch nicht mit der Verhaftung des Fechtlehrers. Sie endet … aber das muß jeder selbst sehen.