Freitag, 22. Juli 2022

Maria Magdalena

Warum erkennt sie Ihn nicht?

Warum hält Maria Magdalena den Auferstandenen für den Gärtner?
Als sie das gesagt hatte, wandte sie sich um und sah Jesus dastehen, wußte aber nicht, daß es Jesus war. Jesus sagte zu ihr: Frau, warum weinst du? Wen suchst du? Sie meinte, es sei der Gärtner, und sagte zu ihm: Herr, wenn du ihn weggebracht hast, sag mir, wohin du ihn gelegt hast! Dann will ich ihn holen. (Joh 20,14ff)

Maria Magdalena ist die Büßerin mit dem großen Herzen. Jesus hat sie geheilt, und zwar nicht von einem Schnupfen, sondern von einer lebensbedrohlichen dämonischen Erkrankung. Sie war wortwörtlich eine Tote. Zwar noch nicht beerdigt, aber geistlich bereits tot. Und Jesus rettet sie aus dem Tod und führt sie zurück ins Leben. Ihre Dankbarkeit danach ist glühend.

Und eben sie, die Glühende, die Gerettete mit dem brennenden Herzen, erkennt den Auferstandenen nicht.

Naturgemäß haben sich geistliche Kommentatoren gefragt, warum dies so ist, und man gab mehrere Antworten. Zum Beispiel, daß Maria Magdalena nach dem Tod ihres geliebten Lebensretters geweint und geweint habe, so daß ihre Augen schließlich von all den Tränen verschleiert gewesen seien.

Oder: Maria Magdalena sei in ihrer Trauer so gefangen gewesen, daß sie gleichsam blind geworden sei.

Die Erklärungsversuche sollen hier nicht geschmäht werden, denn sie haben eine begrenzte Berechtigung. Die Betonung liegt auf begrenzt. Denn letztlich befriedigen diese Versuche nicht.

Die Deutung, die schlüssig erscheint, ist diejenige, die Ratzinger gibt, und es ist, da die Wahrheit einfach ist, die einfache Deutung: »Er (Jesus) gehört nicht mehr der sinnlich wahrnehmbaren Welt zu, sondern der Welt Gottes. So kann ihn nur sehen, wem er selbst sich zu sehen gibt."
    
Wem Er selbst sich zu sehen gibt... Mit diesen einfachen, präzisen Worten ist jeder esoterischen Vereinnahmung die klare Absage erteilt. Der Auferstandene bleibt unverfügbar. Kein noch so ausgetüfteltes esoterisches Rezept, kein Ritual, keine Beschwörungsformel und auch keine Abtötungsübung vermag den Lebendigen Gott herbeizuzwingen. Gott ist frei. Und Er schenkt Seine Offenbarung wem Er will, wie Er will und wann Er will.

Das Griechische verwendet dafür die Vokabel ophthä, »das wir im Deutschen gewöhnlich übersetzen: Er erschien; richtiger müßten wir vielleicht sagen: Er gab sich zu sehen« (Ratzinger).

Das heißt nicht, daß der Mensch gar nichts beizutragen hat zum Geschenk der Offenbarung. Sein Beitrag ist seine Sehnsucht, in den Worten des heiligen Augustinus‘: »Deine Sehnsucht ist dein Gebet.« In den Worten Ratzingers: »Und bei solchem Sehen sind auch das Herz, der Geist, die innere Offenheit des Menschen beansprucht.«

Diese innere Offenheit und Sehnsucht sollten Tag um Tag wachsen, bis der Grund der Seele dermaßen ausgehöhlt oder auch ausgebrannt ist, daß der eigene Abgrund – gemäß dem Psalmwort 42,8 (Vulgata): abyssus abyssum invocat, der Abgrund ruft nach dem Abgrund - ein einziger Schrei ist. Doch dieser Schrei zwingt nicht, ganz einfach deswegen nicht, weil er nicht zwingen kann.

Der Auferstandene sieht den Abgrund und Er sieht das Feuer im Herzen des Sehnsüchtigen. Wann Er jedoch mit Seinem unermeßlichen abgründigen Feuer den Abgrund des vor Liebe Kranken erleuchtet – das ist Sein unergründlicher Ratschluß, weswegen Paulus ekstatisch ausruft: »O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unergründlich sind Seine Entscheidungen, wie unerforschlich Seine Wege! (Röm 11,33)

Der Mensch freilich sollte nie daran zweifeln, daß der Lebendige Gott sein Gebet hört und erhört. Das heißt, der Mensch sollte nie daran zweifeln, daß noch die angebliche Abwesenheit des Ersehnten Abwesenheit der Liebe ist und also eine andere, reinigende, überaus helle Form der Nähe.

Und der sich ausstreckende Mensch, der Gläubige mit seiner verzehrenden Sehnsucht, sollte das Wort des Hebräerbriefs 12,29 bedenken: (…) denn unser Gott ist verzehrendes Feuer.

Grafik: Correggio, Noli me tangere. wikicommons