Faust grübelte, was die Welt im Innersten zusammenhält. Und beim Betrachten des Johannesprologs und dessen Aussage, daß am Anfang das WORT ist, gerät der Zerrissene ins Schwanken. Was ist mit diesem Logos gemeint? Wie lautet die korrekte Übersetzung?
Die Tat, nämlich die faustische, so lautet schließlich das Credo des Getriebenen. Am Anfang ist nicht der allumfassende Sinn, die göttliche Vernunft, die Allmacht der Liebe, sondern die Tat.
Wir wissen, wie diese Interpretation endete – tödlich. Denn falsche Gedanken resultieren in falschen Taten. Es bedarf der Tragödie zweiter Teil, um den Schuldbeladenen zu läutern, auf daß er (so Goethe in den Gesprächen mit Eckermann) bei der Ewigen Liebe ankommt, bei der rettenden göttlichen Gnade.
Rund sechzig Jahre später steht ein anderer Getriebener auf der Bühne. Kein von faustischem Drang nach Wissen Verführter, sondern ein von der Eifersucht Aufgefressener. Otello glaubt dem bösen Jago und dessen hinterhältigen Machenschaften. Die Konsequenz: Er läßt sich hineintreiben in den Mord an seiner geliebten Gattin Desdemona.
Verdi macht aus diesem Drama der Verblendung - Shakespeare genial ins Musikalische übersetzend - eine große Oper. Das unausweichlich Tragische: Mord gebiert Mord. Als Otello der Star gestochen wird, als er seine tödliche Verfehlung erkennt, bricht er nicht nur zusammen, sondern folgt seiner Gattin verzweifelt selbstmörderisch in den Tod.
Und doch läßt es Verdi – und das zeigt seine ganze Meisterschaft – nicht bei diesem finalen Fiasko bewenden. Denn auch Verdi weiß, daß die Liebe, wie es im Hohenlied des Apostels Paulus heißt, alles trägt, allem standhält, denn die Liebe ist der überragende Weg (s. 1 Kor 12,31 und 13)
Darum läßt Verdi den sterbenden Otello, zu den Klängen des herzergreifenden Liebesmotivs der Oper, seiner Gattin das letzte Liebeslied singen: un bacio… ancora un bacio … un altro bacio.
Das ist kein billiger Theatertrick. Kein Rührstück à la italianità. Es ist die Verbeugung vor der Allmacht der Liebe. Das Sterben beider, Otellos und seiner Gattin, wird von Verdi eingehüllt in den Gesang der Liebe. Denn schon beim Tod Desdemonas spielt das Orchester das Liebeslied der Gatten.
Wer würde derart nicht verstehen, was jede große Kunst auf ihre Art stets neu besingt: Daß die Liebe allmächtig ist, daß die Liebe die Welt im Innersten zusammenhält, daß die Liebe niemals aufhört. Denn Gott ist die Liebe.