Samstag, 28. Januar 2023

 Die Allmacht der Liebe

Faust grübelte, was die Welt im Innersten zusammenhält. Und beim Betrachten des Johannesprologs und dessen Aussage, daß am Anfang das WORT ist, gerät der Zerrissene ins Schwanken. Was ist mit diesem Logos gemeint? Wie lautet die korrekte Übersetzung?

Die Tat, nämlich die faustische, so lautet schließlich das Credo des Getriebenen. Am Anfang ist nicht der allumfassende Sinn, die göttliche Vernunft, die Allmacht der Liebe, sondern die Tat.

Wir wissen, wie diese Interpretation endete – tödlich. Denn falsche Gedanken resultieren in falschen Taten. Es bedarf der Tragödie zweiter Teil, um den Schuldbeladenen zu läutern, auf daß er (so Goethe in den Gesprächen mit Eckermann) bei der Ewigen Liebe ankommt, bei der rettenden göttlichen Gnade.

Rund sechzig Jahre später steht ein anderer Getriebener auf der Bühne. Kein von faustischem Drang nach Wissen Verführter, sondern ein von der Eifersucht Aufgefressener. Otello glaubt dem bösen Jago und dessen hinterhältigen Machenschaften. Die Konsequenz: Er läßt sich hineintreiben in den Mord an seiner geliebten Gattin Desdemona.

Verdi macht aus diesem Drama der Verblendung - Shakespeare genial ins Musikalische übersetzend - eine große Oper. Das unausweichlich Tragische: Mord gebiert Mord. Als Otello der Star gestochen wird, als er seine tödliche Verfehlung erkennt, bricht er nicht nur zusammen, sondern folgt seiner Gattin verzweifelt selbstmörderisch in den Tod.

Und doch läßt es Verdi – und das zeigt seine ganze Meisterschaft – nicht bei diesem finalen Fiasko bewenden. Denn auch Verdi weiß, daß die Liebe, wie es im Hohenlied des Apostels Paulus heißt, alles trägt, allem standhält, denn die Liebe ist der überragende Weg (s. 1 Kor 12,31 und 13)

Darum läßt Verdi den sterbenden Otello, zu den Klängen des herzergreifenden Liebesmotivs der Oper, seiner Gattin das letzte Liebeslied singen: un bacio… ancora un bacio … un altro bacio.

Das ist kein billiger Theatertrick. Kein Rührstück à la italianità. Es ist die Verbeugung vor der Allmacht der Liebe. Das Sterben beider, Otellos und seiner Gattin, wird von Verdi eingehüllt in den Gesang der Liebe. Denn schon beim Tod Desdemonas spielt das Orchester das Liebeslied der Gatten.

Wer würde derart nicht verstehen, was jede große Kunst auf ihre Art stets neu besingt: Daß die Liebe allmächtig ist, daß die Liebe die Welt im Innersten zusammenhält, daß die Liebe niemals aufhört. Denn Gott ist die Liebe.

Freitag, 13. Januar 2023

Garabandal

»Weil meine Botschaft vom 18. Oktober (1961) weder erfüllt noch der Welt bekannt gegeben wurde, sage ich euch, daß dies die letzte ist. Zuvor hat sich der Kelch gefüllt. Jetzt läuft er über. Viele (Kardinäle, Bischöfe und) Priester gehen  den Weg des Verderbens und mit ihnen noch mehr Seelen. Man mißt der heiligen Eucharistie immer weniger Bedeutung zu.«
So, laut der Seherin Conchita, die letzte Botschaft der Muttergottes im spanischen Gebirgsdorf Garabandal. Pater Pio, Mutter Teresa, Johannes Paul II., Marthe Robin, um nur einige berühmte Personen der neueren Kirchengeschichte zu nennen, hielten die Erscheinungen in Garabandal für echt.

Nach der letzten Botschaft fragte man sich unter anderem nach der Natur der Sünden, welche den Kelch zum Überlaufen bringen, hatte doch die Muttergottes bereits in der früheren Botschaft vom Oktober gesagt, daß der Kelch sich schon fülle und daß dann, wenn die Menschen sich nicht ändern würden, »ein sehr großes Strafgericht über uns kommen« werde.

Was bringt den Kelch zum Überlaufen?

Dazu Hesemann in der neuen Monographie über Garabandal:
»(…) 1965 besuchte der … deutsche Autor und Garabandal-Experte Albrecht Weber die Seherin (Conchita) im Haus ihrer Mutter. Als beide über das Strafgericht sprachen, zögerte Conchita ein wenig, bevor sie sich traute, ihn zu fragen: Können Sie sich vorstellen, daß man die Kinder in der Mutter töten kann, ohne daß die Mutter dabei auch stirbt? - Wie kommst du darauf?, wollte der Deutsche wissen. Die heilige Jungfrau hat davon gesprochen und mich wissen lassen, daß das zum Überlaufen des Kelches führen wird, erwiderte sie erschüttert, ohne eine Idee davon zu haben, daß so etwas möglich ist (…).
Tatsächlich war das Wissen um das größte Verbrechen unserer Zeit, den Massenmord an ungeborenen Kindern, 1965 noch nicht ihn ihr spanisches Dorf vorgedrungen.«

Samstag, 24. Dezember 2022

Weihnachten 2022

Laudate Dominum

Laudate Dominum omnes gentes,
Laudate eum, omnes populi,
Quoniam confirmata est
Super nos misericordia eius,
Et veritas Domini manet in aeternum.

Gloria Patri et Filio et Spiritui Sancto,
Sicut erat in principio, et nunc, et semper
Et in saecula saeculorum.
Amen.

Lobet den Herrn, alle Völker,
lobet Ihn, alle Nationen,
denn mächtig waltet
über uns Seine Barmherzigkeit,
die Wahrheit des Herrn währt in Ewigkeit.

Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist,
wie im Anfang, so auch jetzt und alle Zeit
und in Ewigkeit.
Amen


Samstag, 17. Dezember 2022

Die Vielfalt der Fäden

Kompliziert? Unkompliziert?

Viele werden, wenn sie auf ihr Leben zu sprechen kommen, keine großen Worte machen. Es lohnt nicht. Es ist zu kompliziert. Zu unübersichtlich. Zu viele wirre Fäden. Den Sinn des Ganzen erkennt man nicht, wozu also groß darüber nachdenken?

Was bleibt, ist eine Lähmung. Und eine diffuse Sehnsucht. Nach Glück. Nach Freundschaft. Nach Liebe, auch wenn die Bilder der Liebe, die sich bei dem allzu mißbrauchten Wort flugs einstellen mögen, mehr mit Hollywood zu tun haben als mit dem realen Leben.

Tatsächlich kennt wahrscheinlich ein jeder Momente oder auch Stunden, in denen sich der Sinn des Lebens verdunkelt. Es muß nicht gleich der große Trauerfall sein oder ein Unfall oder eine vergleichbare Katastrophe. Der Eindruck des allzu Komplizierten und – gesteigert - des Sinnlosen kann einen überfallen mitten im Supermarkt, beim Stehen an der Kassa, mit dem Blick auf das Band, auf dem die Waren weitergeschoben werden.

Etwas anderes ist es freilich, wenn sich die Krise des Komplizierten und die Versuchung der Sinnlosigkeit derart ausweiten, daß sie drohen, gewöhnlich und banal zu werden. Um dem zu begegnen, muß man nicht unbedingt in die nächste Buchhandlung rennen und sich dort einen modischen Bestseller zum Thema Die Postmoderne. Depression und Dimension kaufen. Ein lauteres Wort eines Heiligen, aufmerksam aufgenommen und ordentlich meditiert, könnte schlüssig helfen. Zum Beispiel Pater Pio. Er schreibt:

»Hör gut zu…: Denk dir eine Mutter, die sitzt und stickt. Ihr kleiner Sohn sitzt auf einem niedrigen Schemel zu ihren Füßen und schaut ihr zu. Er sieht aber nur die Rückseite der Arbeit: Ein Gewirr von Knoten und Fäden. .. Er fragt: Was soll das denn werden, Mama? Ich kann nicht erkennen, was du da machst!?
Daraufhin beugt sich die Mutter zu ihrem Kind, senkt den Stickrahmen und zeigt ihm die rechte Seite der Arbeit. Jede Farbe ist nun an ihrem Platz, und die Vielfalt der Fäden formen ein harmonisches Bild.
So ist es nämlich, wir sehen nur die Rückseite der Stickerei, denn wir sitzen auf dem niedrigen Schemel.«
… denn wir sitzen auf dem niedrigen Schemel.

Doch Gott sei Dank beugt sich die liebende vorsehende Hand immer wieder zu uns nieder und zeigt uns, den Verwirrten, die rechte Seite.
                                                                                           
Grafik: Photo by Mel Poole on unsplash.com
                                                

Samstag, 5. November 2022

Gehalten

Das neue Zauberwort ist Haltung.

Eine rosarote Tageszeitung verlautbart die Haltung seit langem, nämlich als Haltungsjournalismus.

Die Werbung darf da nicht nachhinken. Wer die Milch beim Frühstück ins Müsli schüttet, tut dies selbstverständlich mit Haltung (kein Witz).

Und die Pastoral will auch dabei sein. Sie praktiziert die synodale Haltung.

Bei so viel Haltung kann man nur hoffen, daß man das Wesentliche im Blick behält: Wer Haltung sagt, sollte wissen, daß diese nicht das Erste, sondern das Zweite ist. Vorrangig zur Haltung ist das Gehaltenwerden. Nur wer gehalten ist, hat Haltung.

Und wer ist derjenige, der hält?

Samstag, 29. Oktober 2022

Die Sonnenblumen

Es ist ein bekanntes Muster: Dort, wo Ideologen das Sagen haben, wird über kurz oder lang die große Kunst attackiert. Bücher werden verbrannt. Ikonen werden zerstört. Statuen werden geköpft.

Warum ist das so?

Weil jede große Kunst der letztlich atheistischen Ideologie den Garaus macht. Große Kunst kündet vom Schönen. Und das Schöne ist ein Transzendentale, es kündet vom Glanz der Wahrheit. Es spricht von Gott.

Dostojewski, der zu seiner Zeit das Heraufkommen des nihilistischen Anarchismus hautnah erlebte, sagte gleichsam apotropäisch, daß die Schönheit die Welt retten werde, denn er wußte um das aufbauende Potential großer Kunst.

Jetzt hat es in London van Gogh erwischt (Monet in Potsdam). Fanatisierte Klimaideologen haben in London eines der berühmten Sonnenblumengemälde des niederländischen Malers mit Tomatensuppe beworfen. Das ideologische Geschwurbel der Täter interessiert wenig. Es ist wie immer: Der Bildersturm wird gerechtfertigt mit moralischem Pathos. Nichts Neues unter der ideologischen Sonne.

Doch sollte sich der Zeitgenosse von der Clique der Gehirnwäscher nicht korrumpieren lassen. Fakt bleibt: Ein großes Kunstwerk wurde mutwillig besudelt. Keine reine Gesinnung kam hier zum Vorschein, sondern eine schmutzige, die sich der Gewalt und der Zerstörung verschreibt. 

Die linken Allesversteher, welche die offensichtliche Gewalt als revolutionären Akt der Selbstbehauptung legitimieren, sollten, wenn sie das Denken noch nicht komplett verlernt haben, bei Gelegenheit über das nachdenken, was Vincent, der Leidgeprüfte, denen, die verstehen wollen, mitteilte:

»Nur wer ein Auge dafür hat, sieht etwas Schönes und Gutes, in jedem Wetter, er findet Schnee, brennende Sonne, Sturm und ruhiges Wetter schön, hat alle Jahreszeiten gern und ist im Grunde damit zufrieden, daß die Dinge so sind, wie sie sind.«
Denn, so ein weiteres Diktum van Goghs:
»Die wirkliche Bedeutung dessen zu verstehen suchen, was die großen Künstler, die ernsten Meister, uns in ihren Meisterwerken sagen, das führt zu Gott; der eine hat es in einem Buch gesagt, der andere in einem Bild.«

 Grafik: Van Gogh, Sonnenblumen, National Gallery, London. wikicommons

Samstag, 22. Oktober 2022

Wer erlöst?

Das Thema der Erlösung ist bei Richard Wagner das Dauerthema, welches seit dem Fliegenden Holländer den Komponisten umtreibt. Die dramatische Wendung erfolgt schließlich im Tannhäuser. Und diese Wendung ist Wagners Trick.

Dazu muß man sich die berühmte Romerzählung im dritten Akt des Tannhäusers anhören. Der schwache Held ist mit den anderen Büßern nach Rom gepilgert, um beim Papst endgültig Vergebung seiner Schuld zu erlangen. Während nun die Mitpilger diese Vergebung in der Tat empfangen und im Pilgersang davon künden, erzählt Tannhäuser bei seiner Rückkehr über das vernichtende Urteil des Pontifex, dessen Gnade er doch so sehnlich erheischte:

(…) und um Erlösung aus den heißen Banden
rief ich ihn an, von wildem Schmerz durchwühlt. -
Und er, den so ich bat, hub an: -
«Hast du so böse Lust geteilt,
dich an der Hölle Glut entflammt,
hast du im Venusberg geweilt:
so bist nun ewig du verdammt!
Wie dieser Stab in meiner Hand
nie mehr sich schmückt mit frischem Grün,
kann aus der Hölle heißem Brand
Erlösung nimmer dir erblühn!» - -
Da sank ich in Vernichtung dumpf darnieder,
die Sinne schwanden mir.
Tannhäusers trotzige Reaktion auf das päpstliche Verdikt: Er will zurück in den Venusberg und also zurück in den lasziven Untergang.

Was Wagner nicht thematisiert, ist das theologisch zur Gänze Unverständliche der Romerzählung. Denn warum sollte Tannhäuser, der ja seine aufrichtige Reue und Bußbereitschaft in stürmischen Bildern und Beispielen beschreibt, keine Vergebung erfahren? Das macht keinen Sinn. Zum katholischen Verständnis der Reue und Buße gehört geradezu, daß der echte Bußwillige absolviert wird, noch dann, wenn seine Sünde maßlos ist. Der gute Schächer am Kreuz ist, neben ungezählten anderen, das hinlängliche Beispiel.

Was also macht Wagner?

Er trickst. Er trickst, so unsere Deutung, die katholische Kirche aus. Nicht sie soll, kraft ihres sakramentalen Amtes, die Erlösung vermitteln, sondern die hehre Frau, die sich für Tannhäuser sterbend opfert. Damit aber bewegt sich Wagner in seinem altbekannten huis clos. Die Frau wird stilisiert zur Heroine, die von Wagner höchstselbst kanonisiert wird.

Die katholische Kirche kann damit abdanken. Sie ist in Wagners Weltbild überflüssig geworden. Daran ändert auch nichts der herrliche Pilgerchor, der das ganze katholische Register zieht (Gnade, Heil, Reue, Buße, Hölle, Erlösung). Wagner, der Protestant mit seinem gelinde gesagt aus der Bahn geworfenen Liebesleben, mutiert in der Gewandung des Librettisten zum Hohenpriester und schafft endlich die so inbrünstig herbeigesehnte Erlösung in einem Salto Mortale: Er, er selbst, erlöst sich und die holde Geliebte. Kein Sakrament, keine Kirche, kein Amt ist vonnöten. Die Liebe ist’s. Nur: Die Wagnersche Liebe ist eine rein innerweltliche private, noch dann, wenn sie Wagner zur sakralen stilisiert.

Das heißt zugleich, daß jetzt das berauschte Ich beziehungsweise die berauschten Ichs schrankenlos agieren, musikalisch wie thematisch. Tristan ist schließlich der Exzeß der Selbsterlösung. Und wie jeder Exzeß endet er tödlich, bei Wagner freilich in betörenden Klängen.

Fazit: Man hätte Wagner einen blitzgescheiten Dogmatiker an die Seite gewünscht. Aber vielleicht hätte Cosima da ein Wörtchen mitgeredet...

Grafik: wikicommons