»Vom 1. bis 8. November kann täglich einmal ein vollkommener Ablaß für die Verstorbenen gewonnen werden«, so steht es in den kirchlichen Weisungen.
Was heißt das?
Nehmen wir ein Beispiel.
Robert, ein 54jähriger, der gerade mit seinen Arbeitskollegen Geburtstag gefeiert und dabei, was eigentlich nicht seine Art ist, zu viel Alkohol konsumiert hat, setzt sich nach der Feier in sein Auto und fährt nach Hause. Da er jedoch nicht mehr nüchtern ist, verursacht er auf dieser Fahrt einen Unfall, bei dem er selbst stirbt und ein fremder Autofahrer lebensgefährlich verletzt wird und für immer querschnittgelähmt bleibt.
Nehmen wir an, daß Robert ansonsten ein frommer Katholik ist, d.h. ein Katholik, der regelmäßig zu den Sakramenten geht, der zur Beichte geht, der Todsünden meidet und derart sich bemüht, ein rechtschaffenes Leben zu leben.
Und nehmen wir weiter an, daß er im Augenblick seines Todes, in einem Akt gottgeschenkter Gnade, seine Sünde der Trunkenheit bereut und also vom Herrn Verzeihung erlangt hat.
Was Robert jedoch weiterhin anhaftet, ist die Tatsache, daß er durch seine Sünde quasi eine Art geistige Finsternis in die Welt gebracht hat. Zudem: Was ist mit dem Opfer des Unfalls, dem Querschnittgelähmten, der jahre- oder jahrzehntelang an den Rollstuhl gefesselt ist aufgrund der Sünde von Robert? Robert selbst kann diese Tat nicht mehr rückgängig machen, die schrecklichen Konsequenzen des von Robert verschuldeten Unfalls - sowohl die geistigen wie die materiellen - verbleiben daher als sogenannte zeitliche Sündenstrafen auf Robert lasten.
Und hier nun greift der Ablaß.
Derjenige, der den Ablaß betet, kann die Früchte des Ablasses dem verstorbenen Robert zuwenden, damit dessen zeitliche Sündenstrafen angemessen abgebüßt werden. Der Ablaß ist folglich ein überbordendes Geschenk der Kirche, die noch über den Tod hinaus Sorge trägt für ihre Kinder, und dies, indem sie zum einen die Gemeinschaft der Gläubigen dem Beter bewußt macht, eine Gemeinschaft, in der jeder – in Art von kommunizierenden Röhren – Verantwortung für den Nächsten trägt, und zum zweiten dort Hoffnung schenkt, wo rein menschlich gesehen keine Hoffnung in Sicht ist (denn Robert kann, wie gesagt, das Geschehene nicht ungeschehen machen).
Den Beter des Ablasses hat man sich derart vorzustellen, daß er die Früchte des Ablasses gleichsam wie einen Schatz der Kirche anheimgibt, die diesen Gnadenschatz verwaltet und austeilt. Der Beter bittet für Robert, d.h. er bittet darum, daß die Frucht des Ablasses Robert zugute kommt und auf diese Weise der Beter mitwirken darf daran, daß die zeitlichen Sündenstrafen Roberts getilgt werden und seine Zeit im Fegefeuer abgekürzt wird. In den Worten einer katholischen Dogmatik: »Die Sündenstrafen, die der Ablaß nachläßt, sind die von der
göttlichen Gerechtigkeit über den Sünder verhängten Strafen, welche
entweder in diesem Leben oder im Fegefeuer abgebüßt werden können.«
Wenn man es recht versteht, und das heißt, wenn man es nicht rechnerisch-kalkulatorisch versteht, nicht als eine Abrechnung, so als sei Gott eine Art göttlicher Finanzbeamter, sondern im Verständnis der Logik der göttlichen Gnadenerweise, dann wird man erkennen, daß alles (auch der Ablaß), wie
Pater Pio es ausdrückte, ein Liebesspiel ist:
Tutto è scherzo d‘amore.
Wer die Ablaßregelung der Kirche ignoriert, weil er sie aufgrund von Vorurteil oder Ignoranz für eine Art mittelalterlichen Mummenschanz oder Aberglauben hält, der könnte beherzigen, was der heilige
Pfarrer von Ars hinsichtlich der Ablaßgewinnung sagte: »Wir gehen über die Ablässe hinweg, wie man nach der Ernte über das Stoppelfeld geht. Wie sehr werden wir das in der Sterbestunde bereuen!«
Der Allerseelenablaß: Die Bedingungen
Vom 1. bis 8. November kann täglich einmal ein vollkommener Ablaß für die Verstorbenen gewonnen werden.
Neben den üblichen Voraussetzungen (Beichte, wobei eine zur Gewinnung mehrerer vollkommener Ablässe genügt; entschlossener Abkehr von jeder Sünde; Kommunionempfang und Gebet in den Anliegen des Papstes – diese Erfordernisse können mehrere Tage vor oder nach dem Kirchen- bzw. Friedhofsbesuch erfüllt werden) sind erforderlich:
a) an Allerheiligen oder am Allerseelentag oder am Sonntag vor oder nach Allerheiligen (einschließlich des Vortages ab 12 Uhr): Besuch einer Kirche oder öffentlichen Kapelle, Vaterunser und Glaubensbekenntnis; in Hauskapellen können nur die zum Haus Gehörenden den Ablaß gewinnen;
oder
b) vom 3. bis zum 8. November: Friedhofsbesuch und Gebet für die Verstorbenen.
Fehlt die volle Disposition oder bleibt eine der Bedingungen unerfüllt, ist es ein Teilablaß für die Verstorbenen. Ein solcher kann in diesen und auch an den übrigen Tagen des Jahres durch Friedhofsbesuch wiederholt gewonnen werden.